|   Kommentar

Präsenzunterricht ist letztlich alternativlos

von Florian Riesterer

Mit der Situation an den Schulen ist derzeit kaum jemand zufrieden. Schüler haben das Gefühl, nichts wirklich zu lernen, Eltern schimpfen wahlweise auf zu wenig Präsenzunterricht und die Schwierigkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Engagierte Lehrer stöhnen über eine Doppelbelastung als digitaler Kanal und Pädagoge vor Ort, während Schulleitungen vorgeworfen wird, zu wenig in dieser Extremsituation zu tun.

Ein einheitliches Bild der Lage zu zeichnen, ist schwer, selbst im selben Bundesland. So müssen zwar alle Schulen in Rheinland-Pfalz denselben elfseitigen „Hygieneplan-Corona“ beherzigen sowie Mindestabstände und die Größe von Lerngruppen, die nicht über 15 Schüler liegen darf. Und trotzdem: In der Praxis bedeutet dies in der einen Schule einen täglichen Unterricht von fünf Stunden, während andernorts Schüler in Präsenzwochen nur zwei Stunden pro Tag unterrichtet werden. Ob diesen Unterschied die Anzahl von Lehrern ausmacht, die zur Risikogruppe gehören, die Raumsituation oder andere Entscheidungen, wissen Eltern und Schüler oft nicht. Für alle unbefriedigend.

Jetzt kommt Bewegung in die Situation. Schleswig-Holstein will ab 8. Juni alle Schüler in die Schule schicken – ohne Abstandsregeln. Thüringen plant spätestens nach Pfingsten Präsenzunterricht für alle. Und Rheinland-Pfalz will regulären Schulunterricht für alle „direkt nach den Sommerferien“, so Malu Dreyer.

Dieser Weg ist letztlich alternativlos. Denn der wöchentliche Wechsel von Homeschooling und Präsenzunterricht macht sozial benachteiligte und leistungsschwache Kinder und Jugendliche sowie Schüler mit besonderem Förderbedarf endgültig zu den Verlierern. Ebenso die Lehrer. Mangels technischer Ausstattung in den Elternhäusern oder fehlendem Engagement von Eltern und Schülern erreichen sie manche Schüler nur jede zweite Woche. „Die Heterogenität in der Schülerschaft wächst“, konstatiert Steffen Jung, Leiter des Evangelischen Trifels-Gymnasiums Annweiler. Das Deutsche Kinderhilfswerk spricht gar von einer „verlorenen Generation“.

Dass ein dauerhafter Präsenzunterricht für alle letztlich nur mit weniger Abstand und zusätzlichen Lehrern zu bewerkstelligen ist, muss allen klar sein. Genauso aber, dass es schon jetzt trotz des Hygiene-Konzepts zu Verletzungen der Regeln kommt – in Pausen und auf dem Weg zur Schule. Die geplanten Querschnittstestungen an Schulen und Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz können hier ein kleiner Baustein sein. Für Schüler mit Kontakt zu Risikopatienten oder Lehrern der Risikogruppe wird es so oder so weiter Ausnahmen geben müssen. Auch vorübergehende Schulschließungen sind denkbar. Doch solange an Schulen nicht sprunghaft Corona-Fälle nach oben schnellen, ist ein weiterer Verzicht auf dauerhaften Präsenzunterricht nach den Sommerferien die schlechtere Alternative.

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Florian Riesterer
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