|   Dokumentation

Gemeinsam am Tisch des Herrn

Drei Fragen an Christian Schad zur wechselseitigen Einladung zu Abendmahl- und Eucharistiefeiern

Worin liegen Wert und Bedeutung der Erklärung „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ (GTH) des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK)?

Der Wert, die Bedeutung dieser Abendmahlsstudie besteht darin, dass sie die in den vergangenen Jahrzehnten erreichten Konvergenzen hinsichtlich des Herrenmahls sowie im Kirchen- und Amtsverständnis konstruktiv aufgreift – und als Folge daraus die Frage zu klären versucht, „ob sich nicht auch im Blick auf das Abendmahl/die Eucharistie ein gemeinsames ‚Grundeinverständnis‘ herausstellen lässt, das analog zur Anerkennung der Taufe eine wechselseitige Anerkennung der jeweiligen liturgischen Gestalt der Mahlfeier und ihres theologischen Gehalts ermöglicht und damit zur gegenseitig ausgesprochenen Einladung berechtigt“ (GTH, 2.5). Dieser Aufgabe stellt sich die Schrift, indem sie bibel-theologische, kirchen- und liturgiegeschichtliche sowie dogmatische Zugänge zum Thema beleuchtet und aufeinander bezieht.

Auf dieser wissenschaftlichen Basis und unter Einbeziehung der Erfahrung erlebter christlicher Glaubensgemeinschaft betrachtet der ÖAK sodann „die Praxis der wechselseitigen Teilnahme an den Feiern von Abendmahl/Eucharistie in Achtung der je anderen liturgischen Traditionen als theologisch begründet“ (GTH, 8.1). Bei diesem „Votum“ (GTH, 8.1) handelt es sich weder um eine kirchenrechtlich verbindliche Aussage noch um eine offizielle Erklärung von Kirchen. Vielmehr um ein begründetes „geistliches Urteil“ (GTH, 6.3.5; 6.4), das die Bedeutung der persönlichen Glaubensgewissheit ernst nimmt. Wenn wir nämlich als Katholiken und Protestanten darin übereinstimmen, dass wir im Abendmahl/in der Eucharistie das „in österlicher Hoffnung … von Jesus Christus selbst gestiftete Gedächtnis seines erlösenden Lebens und Sterbens für uns in einer liturgischen Handlung (sc. feiern), in der seine Gegenwart in der Kraft des Heiligen Geistes im verkündigten Wort und im Mahl erfahrbar und wirksam wird“ (GTH, 8.2), dann vermag dieses Grundeinverständnis den Begründungsrahmen abzugeben für die individuelle Gewissensentscheidung einzelner Gläubiger, wechselseitig zur Eucharistie beziehungsweise zum Abendmahl hinzuzutreten.

Es ist die Zusage der Selbstvergegenwärtigung und der Selbstgabe Jesu Christi im Mahl, „die konfessionelle Grenzen und Grenzziehungen, die der sichtbaren Einheit im Wege stehen“ überschreitet (GTH, 2.2) – und dazu ermutigt, die Einladung Jesu Christi zu seinem Tisch nicht auf die Angehörigen der je eigenen Konfession zu begrenzen. Dies umso mehr, als hier ein ökumenischer Grundkonsens formuliert ist, in dem sich auf evangelischer Seite – spiegelbildlich zur Zusammensetzung des ÖAK – die lutherische, die reformierte und die unierte Tradition gemeinsam wiederfinden. Insofern plädiert die Studie für die Möglichkeit wechselseitiger Teilnahme für alle getauften evangelischen und römisch-katholischen Christinnen und Christen an der Abendmahls- beziehungsweise Eucharistiefeier der jeweils anderen Kirche. Die damit anvisierte Öffnung der bisherigen Praxis besteht also darin, dass nach vorheriger Prüfung katholische Christen verantwortet und begründet, ohne Gewissensnot, an der evangelischen Abendmahlsfeier partizipieren – und umgekehrt evangelische Christen verantwortet, begründet und ohne Gewissensnot an der katholischen Eucharistiefeier teilnehmen können. Das Neue besteht in der so ermöglichten Wechsel- und Gegenseitigkeit der Teilnahme an der Abendmahls- beziehungsweise Eucharistiefeier, die nicht mehr beschränkt sein soll auf die in konfessionsverbindenden Ehen lebenden Ehepartnerinnen und Ehepartner.

Aus dem Vatikan kam als Lehrmäßige Anmerkung auffallend deutliche Kritik an GTH. Was ist daran berechtigt?

Der ÖAK hat ausführlich Stellung bezogen zu den „Lehrmäßigen Anmerkungen“ der Glaubenskongregation. Nach einer sachintensiven, in ökumenisch wertschätzendem Geist geführten Auseinandersetzung mit den römischen Einwänden kommt diese Stellungnahme zu dem Schluss: „Gewiss setzt eine volle, umfassende Eucharistie- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen Kirchen die Verwirklichung ihrer Kirchengemeinschaft voraus … Demgegenüber ist die wechselseitige, gastweise Öffnung der Mahlfeiern für Christinnen und Christen der anderen Konfession ein kleiner, erster und in Demut vollzogener Schritt, der das Bemühen um volle Wiederherstellung der Gemeinschaft im Glauben nicht ersetzen, wohl aber beflügeln kann.“

In einer ersten Reaktion darauf durch den Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, kritisiert er, dass die Stellungnahme des ÖAK – wie schon das Votum von 2019 – „im rein akademischen Bereich“ verbleibe und „nicht an die konkrete kirchliche Realität zurückgekoppelt“ sei. In der Praxis zeige sich, dass vieles von dem, was der ÖAK als Konsens darstelle, nicht mit der gelebten Wirklichkeit übereinstimme. „Dass diese Erdung zu einem großen Teil nicht geschehen ist“, so Kardinal Koch weiter, „erstaunt umso mehr, als der ÖAK sich immer wieder auf den Primat der Praxis beruft, ihn aber weitgehend nicht einlöst.“

Zuletzt hat Kardinal Koch in einem „Offenen Brief“ an Professor Dr. Volker Leppin, den wissenschaftlichen Leiter des ÖAK auf evangelischer Seite, seine Einwände wiederholt. Hier bezieht er sich vornehmlich auf die Abendmahlspraxis in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die gegen eine wechselseitige Teilnahme evangelischer und katholischer Christen an der Abendmahls- beziehungsweise Eucharistiefeier der jeweils anderen Kirche spreche. In einer Stellungnahme hat die EKHN ihrerseits darauf reagiert und die Kritik des Kurienkardinals zurückgewiesen. – In dieser Kontroverse freilich weist Letzterer zu Recht auf offene Fragen im Blick auf die Praxis evangelischer Abendmahlsfeiern hin, die aber den ökumenischen Grundkonsens nicht zu widerlegen vermögen.

Hiernach setzt die öffentliche Wortverkündigung sowie die Leitung der Sakramente eine ordnungsgemäß dazu berufene Person voraus (vgl. Confessio Augustana 14). Die Ordination beziehungsweise Beauftragung gilt lebenslang und unter Beanspruchung der ganzen Person. Das so geordnete Amt (vgl. 1. Korinther 14, 40) gehört zum Sein der Kirche. Falls darum eine solche „ordentliche“ Mahlfeier in evangelischen Kirchen irgendwo nicht gegeben sein sollte, haben diese – um ihrer selbst willen – jenen Zustand herzustellen, der auch den ökumenischen Erfordernissen entspricht.

Ebenso verhält es sich im Blick auf den inneren Zusammenhang von Taufe und Abendmahlsempfang. Ja, „die Taufe begründet“, wie das Zweite Vatikanische Konzil zu Recht sagt, „ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind“ (Unitas Redintegratio 22). Sie begründet Kirchengemeinschaft, die als Eucharistiegemeinschaft gelebt werden will. Insofern ist die Taufe Voraussetzung der Teilnahme am Herrenmahl. Dieser Grundsatz wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es in der Praxis beider Kirchen immer wieder vorkommt, dass auch Ungetaufte zum Tisch des Herrn hinzutreten. Gerade dann sollte nicht einfach nur widersprochen, sondern in einer auch pastoral angemessenen Weise der wesentliche Konnex zwischen Taufe und Abendmahl evident gemacht werden. So hat bereits die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Votum des Ökumenischen Arbeitskreises „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ vom 28. Februar 2020 auf die Aufgaben hingewiesen, die innerhalb der evangelischen Landeskirchen zu klären sind. „Dem Rat“, so heißt es hier, „ist bewusst, dass mit dieser Perspektive (sc. der wechselseitigen Teilnahme am Abendmahl beziehungsweise der Eucharistie) auch Fragen an die evangelische Abendmahlspraxis im Blick auf Leitung und Gestaltung verbunden sind. Daran wollen wir weiterarbeiten.“

Gemeint sind damit exakt diejenigen Punkte, die auch im oben zitierten „Offenen Brief“ angesprochen werden. Kardinal Koch rennt mit seiner Kritik gleichsam offene Türen ein. So ernst ich diese nehme: Für das ökumenische Miteinander ist es eher hinderlich, wenn man zugestandene Herausforderungen in der Praxisgestaltung sogleich als fundamentale Problematisierung des gemeinsamen theologischen Grundeinverständnisses herausstellt. Denn eine Diskrepanz zwischen Sein und Sollen, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen theologischer Einsicht und pastoraler Praxis dürfte sich wohl in jeder Kirche finden.

Was kann und muss von evangelischer Seite aus geschehen, um ökumenisch sensibel Liturgie zu feiern?

Gerade um des Wechselverhältnisses von Kirchen- und Eucharistie- beziehungsweise Abendmahlsgemeinschaft willen ist es notwendig, dass es die in der Taufe bereits sakramental verbundenen Menschen sind, die in der Feier des Mahls zusammenkommen. Auch, dass ihr eine ordnungsgemäß dazu berufene Amtsperson vorsteht (s.o.). Darüber hinaus teilen evangelische und katholische Christen die Überzeugung, dass die eucharistische Gegenwart Jesu Christi auf den gläubigen Empfang der Abendmahlselemente ausgerichtet ist, dass sie jedoch nicht nur auf den Augenblick des Empfangs beschränkt ist und auch nicht vom Glauben des Empfangenden abhängt, so sehr sie auf ihn ausgerichtet ist. Wird dies ernst genommen, schließt das evangelischerseits den „sorgsamen Umgang mit den Mahlgaben“ (GTH, 8.4) auch nach der Kommunion ein. Ihn zu praktizieren, gehört ebenso zur ökumenischen Sensibilität bei der liturgischen Abendmahlsfeier.

Dr. h. c. Christian Schad war von 2008 bis 2021 Kirchenpräsident der pfälzischen Landeskirche und ist evangelischer Vorsitzender des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen. Die von ihm hier beantworteten Fragen sind Teil eines Buchprojekts zum Thema "Gemeinsam am Tisch der Herrn".

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Auf der Suche nach einem gemeinsamen Grundeinverständnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche: Christian Schad beim Abendmahl. Foto: epd
Auf der Suche nach einem gemeinsamen Grundeinverständnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche: Christian Schad beim Abendmahl. Foto: epd