|   Kommentar

Ein Gedenktag nicht nur für die vielen Toten

von Renate Haller

Trauriger Rekord: Das Robert-Koch-Institut hat Ende vergangener Woche fast 1200 Corona-Tote innerhalb eines Tages gemeldet. Insgesamt sind in Deutschland inzwischen mehr als 40000 Menschen mit oder an dem ­Virus gestorben. Bildlich gesprochen geht es um die Bevölkerung einer Kleinstadt, die nun zu einer Geisterstadt geworden ist.

Wir reden viel von zu hohen Inzidenzen, deren Wert nach unten gedrückt werden soll. Die Zahl der verstorbenen Frauen und Männer bleibt seltsam steril. Liegt es daran, dass viele von ihnen zuvor in Seniorenheimen gelebt haben und keine lange Lebenserwartung mehr hatten? Ein zynischer Gedanke. Oder ist es die Größe der Zahl der täglichen Meldung, die verstummen lässt? Wie auch immer: Das Land nimmt sie klaglos hin.

Georg Bätzing, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, hat angeregt, einen Gedenktag für die Opfer einzurichten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet ist dagegen. Wenn der Staat gedenke, dann müsse er das bei allen Leidenden tun, lautet sein Einwand. Andere monieren, es gebe schon jetzt viel zu viele Gedenktage, die kaum zur Kenntnis genommen werden.

Alles richtig. Dennoch hat Georg Bätzing recht. Sterben an Corona war und ist in den Krankenhäusern oft eine einsame Angelegenheit. Das Personal in den Kliniken verpackt die Toten in luftdichte Plastiksäcke mit der Aufschrift „Infektionsgefahr“. Das ist notwendig, aber für die Angehörigen schwer zu ertragen. Bei den Bestattungen dürfen nur wenige der Verwandten und Freunde dabei sein, mit Abstand und Mundschutz. Ein Gedenktag für die vielen Toten kann helfen, die Trauer und den Schmerz der Angehörigen aufzunehmen, kann daran erinnern, dass hinter den Zahlen Menschen stehen, die gerne noch weitergelebt hätten und sehr wahrscheinlich lieber mit Begleitung ihrer Angehörigen gestorben wären.

Ein allgemeines Gedenken kann aber auch daran erinnern, dass die Pandemie etwas mit dem Verhalten der Menschen zu tun hat. Dass sie etwa im Regenwald immer weiter in die Lebenswelt von Tieren eindringen und damit das Übertragen von Viren von Tier auf Mensch möglich machen, so wie bei dem Coronavirus. Das Gedenken kann mahnen und dadurch vielleicht verhindern, dass diejenigen recht behalten, die sagen: „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.“

Eine Aufforderung zu Besinnung und Umkehr, zur Reflexion dessen, was wir Menschen einander und dem Planeten Erde antun. Es gibt einen solchen Tag bereits, den Buß- und Bettag. Zwar fast überall als arbeitsfreier Feiertag abgeschafft, dennoch in vielen protestantischen Kirchen fest verankert. Warum nicht ihn mit neuen Gedanken füllen, ihn zu einem Tag machen, der alle Menschen dazu anregt, persönliches und gesellschaftliches Handeln zu überdenken und sich an die vielen Toten zu erinnern?

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Renate Haller
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