|   Glosse

Digitale Schule und analoge Karotten

von Florian Riesterer

Homeschooling, schulfrei, Präsenzunterricht, Hybridmodell, wechselnde Klassengruppen: Corona bringt Lehrer, Eltern und Schüler an organisatorische Belastungsgrenzen. Das liegt teils am Lernstoff, der unter Pandemiebedingungen mitunter schwer zu vermitteln ist. Im Fall von Kindern im Grundschulalter sind Eltern dazu an jenen Stellen gefragt, an denen digitale Technik Einzug gehalten hat – und die kleinen „digital natives“ überfordert.

Mails mit Wochenplänen und Hinweisen des Ministeriums müssen weitergeleitet werden, Videokonferenzen rechtzeitig gestartet, Hausaufgaben abfotografiert und zurückgeschickt… Wer zwei Grundschulkinder parallel durch diese Zeiten steuert, muss sich als Elternteil nicht wundern, wenn er die Videokonferenz-Zeiten der Kinder durcheinanderbringt – oder irgendwann vergisst, sich bei der Arbeit selbst rechtzeitig zur Telefonkonferenz einzuwählen.

Sicher ist jetzt schon: Am Ende des Schuljahrs werden die Kinder fünf Videokonferenz-Programme im Schlaf aufsagen können, während das Einmaleins oder der Dreisatz hakt. Das heißt nicht, dass das papierlose Zeitalter angebrochen wäre. Im Gegenteil. Stapelweise Arbeitsblätter füllen die Kinder aus, die sie montags in dicken Paketen am Schultor abholen. Besonders schön ist das bunt ausgemalte Leporello geworden, in dem die Kinder das Selbsttesten an der Schule gelernt haben – bevor sie erneut auf unbestimmte Zeit geschlossen hat. Spätestens mit diesem Bastelwerk der Kinder ist klar: Corona ist Alltag geworden.

Und dann gibt es noch die Relikte, die erinnern an eine andere Zeit. In einer Jackentasche die Eintrittskarte zu einem Filmfestival etwa. Mit vielen Menschen auf engem Raum. Sommer 2019. Eine gefühlte Ewigkeit weit weg. Im Kontrast dazu stehen zwei vergammelte Möhrenstücke, die auf einmal im Schlampermäppchen des Sohns auftauchen. Erst Rätselraten, dann Klarheit: Futter für die Kaninchen zu Hause, im Präsenzunterricht an Kinder mit Haustieren verteilt – und dann im Homeschooling vergessen, wo eben kein Lehrer fordert: Mäppchen raus. Symbol für wechselnde Unterrichtsformate in Coronazeiten.

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Arbeitsblätter und Mäppchen eines Grundschülers. Foto: Riesterer
Arbeitsblätter und Mäppchen eines Grundschülers. Foto: Riesterer