Der Papst hat bislang wenig über seine Meinung zum Krieg in der Ukraine öffentlich gesagt. In einem Interview mit Jesuiten-Zeitschriften gab Franziskus den Nato-Mächten nun eine indirekte Verantwortung an der Eskalation mit Russland. In dem Gespräch äußerte sich das Kirchenoberhaupt auch zur Frage eines Rücktritts des Kölner Erzbischofs Kardinal Rainer Maria Woelki. Er wolle sich nicht drängen lassen und warten, bis es keinen Druck mehr gebe, um zu entscheiden, sagte der Papst: „Die Tatsache, dass es unterschiedliche Standpunkte gibt, ist in Ordnung. Das Problem ist, wenn Druck entsteht. Das hilft aber nicht.“
Franziskus hat die Weltgemeinschaft angesichts des Ukraine-Kriegs dazu aufgefordert, sich vom üblichen Gut-Böse-Schema zu lösen. „Was wir sehen, ist die Brutalität und Grausamkeit, mit der dieser Krieg von den Truppen, in der Regel Söldnern, die von den Russen eingesetzt werden, geführt wird“, sagte er europäischen Kulturzeitschriften des Jesuitenordens in einem Interview. „Aber die Gefahr ist, dass wir nur das sehen, was ungeheuerlich ist, und nicht das ganze Drama sehen, das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht in gewisser Weise entweder provoziert oder nicht verhindert wurde. Und ich registriere das Interesse am Testen und Verkaufen von Waffen. Das ist sehr traurig, aber darum geht es ja offensichtlich.“
Das katholische Kirchenoberhaupt sagte, manch einer möge ihm an dieser Stelle entgegenhalten, er sei pro Putin. „Nein, das bin ich nicht. So etwas zu sagen, wäre vereinfachend und falsch. Ich bin einfach dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Guten und Bösen zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind“, betonte Franziskus.
Was jetzt in der Ukraine passiere, berühre die Menschen in Europa stärker, weil es ihnen näher sei. Aber es gebe auch andere Länder, wo der Krieg immer noch andauere und dies niemanden kümmere. Er denke an Nordnigeria, Nordkongo, an den Völkermord in Ruanda vor 25 Jahren und an Myanmar und die Rohingya. „Die Welt befindet sich im Krieg. Vor einigen Jahren kam ich auf die Idee zu sagen, dass wir den Dritten Weltkrieg in Stücken und Brocken erleben. So ist für mich heute der Dritte Weltkrieg ausgebrochen“, sagte der Papst. „Das ist etwas, das uns zu denken geben sollte. Was ist mit der Menschheit geschehen, die in einem Jahrhundert drei Weltkriege erlebt hat?“, fügte er hinzu.
Er sprach in dem Interview auch über ein Video-Telefonat mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin von Beginn an unterstützt und auch den Krieg legitimiert hatte. Er habe zu Kyrill gesagt: „Bruder, wir sind keine Staatskleriker, wir sind Hirten des Volkes.“ Ein für Dienstag geplantes Treffen zwischen Papst Franziskus und dem Moskauer Patriarchen in Jerusalem wurde abgesagt. Papst Franziskus kündigte nun an, er hoffe, Kyrill auf einer Generalversammlung im September in Kasachstan zu treffen.
Der Kölner Erzbischof Woelki war wegen seines Umgangs mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in seinem Erzbistum heftig in die Kritik geraten. Der Papst hatte im vergangenen Jahr Gutachter in die Diözese geschickt, um die Situation dort zu evaluieren. Anschließend hatte er Woelki eine sechsmonatige Auszeit verordnet, die Anfang März endete.
Der Papst sagte, er habe dies getan, damit sich die Dinge beruhigten und er klarer sehen könne. Als Woelki zurückgekommen sei, habe er ihn gebeten, ein Rücktrittsgesuch zu verfassen. „Er tat dies und gab es mir.“ Er habe Woelki an seinem Platz gelassen, um zu sehen, was passieren würde. „Aber ich habe sein Rücktrittsgesuch in der Hand.“ Es gebe viele Gruppen, die Druck machten, aber unter Druck sei es nicht möglich zu entscheiden, argumentierte das katholische Kirchenoberhaupt. Franziskus sagte, er ziehe eine finanzielle Visitation im Erzbistum in Erwägung. Denn es gebe auch ein wirtschaftliches Problem.
Doch sei er davon überzeugt, dass Köln nicht die einzige Diözese in der Welt sei, in der es Konflikte gebe. Er behandle sie wie jede andere Diözese in der Welt, die Konflikte erlebe. „Es gibt viele solche Diözesen.“
Das Interview war bereits Mitte Mai geführt worden. Franziskus gehört selbst dem Jesuiten-Orden an. epd