Die Geschichte könnte aus einem Hollywood-Filmskript stammen: Die Familie eines jüdischen Jungen ist von den Nazis im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden. Er selbst wird vor dem Abtransport der Eltern in einem französischen Lager von einem Kinderhilfswerk gerettet. Der Junge schlägt sich mit falscher Identität durch und muss dann unter Druck der Waffen-SS beitreten. Bis zum Kriegsende gehört er der Nazi-Eliteeinheit an, die für zahlreiche Kriegsverbrechen und den nationalsozialistischen Judenmord mitverantwortlich ist.
So hat es zumindest Eduard Adler, der 1924 geborene Sohn des jüdischen Textilhändlers Maximilian Adler und seiner Frau Selma aus Speyer, zu Protokoll gegeben. An das Schicksal der verschleppten Familie Adler aus der Wormser Straße 23, in deren Haus sich heute ein vietnamesisches Restaurant befindet, erinnern nun „Stolpersteine“.
Deren Erfinder, der im mittelhessischen Alsfeld lebende Künstler Gunter Demnig, verlegte die Gedenktafeln aus Messing am Montag neben anderen für 20 Menschen aus sechs Familien in Speyer. Das Ungewöhnliche daran: Eduard Adler bekam nur einen namenlosen, schwarzen „Blindstein“ in den Asphalt gesetzt, neben den beschrifteten Steinen für seine ermordeten Eltern.
Die Frage, wie mit dem Gedenken für den jüdischen SS-Mann umgegangen werden sollte, habe intern zu hitzigen Diskussionen geführt, sagt Cornelia Benz von der Initiative „Stolpersteine für Speyer“. Eine ausgewogene Beurteilung von Adlers wechselvollem Schicksal sei schwierig, historische Zeugnisse fehlten. Der Initiator des „Stolpersteine“-Projekts Demnig habe deshalb vorgeschlagen, Eduard Adlers Namen auf einem Stein nicht zu nennen.
Der 74-Jährige hat seit 1996 mehr als 75000 Stolpersteine verlegt, die an das Schicksal von Opfern der Nazi-Diktatur erinnern. Für glaubwürdig hält es die ehrenamtliche Stadtführerin Benz, dass Eduard Adler tatsächlich unter Zwang und in Todesangst in den Dienst der Waffen-SS eintrat. Dies bekräftigte er 1947 vor einem jüdischen Ehrengericht; die jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt schloss ihn aber aus.
„Er war mit Sicherheit ein Opfer“, sagte Benz. Was der junge Speyerer Jude bei der nationalsozialistischen Mordtruppe tat, sei unklar. Im Alter von 16 Jahren kam Adler im Oktober 1940 mit seinen Eltern und rund 30 weiteren Speyerer Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs. Mehr als 6500 Juden aus der Saarpfalz und Baden wurden von Nationalsozialisten bei der „Wagner-Bürckel-Aktion“ dorthin deportiert. Die meisten von ihnen starben in den NS-Vernichtungslagern im Osten.
Auch Selma und Maximilian Adler wurden 1942 in Auschwitz ermordet. Ihr Sohn Eduard wurde vom jüdischen Kinderhilfswerk OSE gerettet und schlug sich als Holzfäller durch. Bei einer Razzia der Wehrmacht wurde er 1943 festgenommen, gab sich als flämischer Belgier aus. Adler wurde nach Paris transportiert und meldete sich dort mit rund 60 Franzosen „freiwillig“ zur Waffen-SS: Um sein Leben zu retten, habe er seine wahre Identität verschleiert, versicherte Adler später.
Nur unzureichend ist dokumentiert, was danach geschah: Adler arbeitete unter anderem als SS-Mann in Prag in einer Schreibstube. Anfang 1945, kurz vor Kriegsende, wurde er verwundet und kam ins Lazarett nach Aue im Erzgebirge. Dort geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Im November 1945 kehrte Adler zurück nach Speyer und lebte als Mieter in seinem Elternhaus. Er versuchte, die Textilwarenhandlung weiterzuführen – allerdings erfolglos. Schließlich verkaufte Adler 1949 das an ihn zurückerstattete Anwesen und wanderte Ende 1951 mit seiner Familie in die USA aus. Ab 1952 arbeitete er in Baltimore als Bäcker, wo er 1987 starb.
Ein Gutes habe Eduard Adlers gebrochene Biografie, urteilt Cornelia Benz von der „Stolperstein“-Initiative: „Sie gibt den Blick frei auf die Schicksale von Menschen, die unter die Räder geraten sind.“ Alexander Lang