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Der aufmerksame Blick

Andacht zum 8. Sonntag nach Trinitatis

von Pfarrerin Waltraud Zimmermann-Geisert

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Markus 12, 41–44

„Kirche und ihr Geld“ ist ein Thema, über das sich trefflich streiten lässt. In Zeiten, in denen die Kirchenaustritte so hoch sind wie nie, erst recht. Die Kirchen müssen den Gürtel enger schnallen, sagen Insider, die wissen, dass die Finanzdecke immer knapper wird und nicht mehr alles, was wünschenswert wäre, finanziert werden kann.

Die andern sind der Meinung, dass die Kirchen immer noch zu viel Geld haben. Sie unterstellen, dass sie nicht verantwortungsvoll mit ihrem Geld umgingen. Ausgaben für diakonische Zwecke sind durchaus erwünscht, Gelder für Gehälter und Gebäude werden kritisch gesehen. Der Umgang mit Geld ist nun mal ein Thema, das uns alle betrifft, zumal in Zeiten steigender Inflation und damit auch wachsender Armut. Was können wir uns noch leisten? Wo können wir uns einschränken? Wo müssen wir es? Sind da Kirchensteuern noch gerechtfertigt?

Auch Jesus macht so seine Beobachtungen, wenn es um Abgaben für den Tempel geht. Er sitzt dort, wo man die besten Einsichten zu diesem Thema gewinnt, nämlich in der Nähe des Gotteskastens. Das war der Opferstock des Tempels. Die Einnahmen daraus waren interessanterweise für den Opferbetrieb und den Erhalt des Tempels bestimmt, nicht für die Unterstützung der Armen.

Normalerweise übergaben die Reichen ihre Spende den Priestern, die die die Höhe der Spende bekannt gaben und natürlich auch den Spender oder die Spenderin, ganz nach dem Motto „Tue Gutes und sprich darüber!“ Das ist ja auch heute so. Großspenden der Superreichen wie Bill Gates oder Elon Musk werden publik gemacht und bewirken auch ohne Zweifel Gutes. Aber Jesus schaut nun gerade nicht auf solche Großspender, denn diese sorgen selber für ihre Beachtung.

Er beobachtet eine arme Witwe, damals sofort erkennbar an ihrer Kleidung und Haltung. Sie übergibt ihre Gabe nicht den Priestern, sondern wirft sie direkt in den Opferkasten. Vielleicht schämt sie sich, weil sie im Vergleich zu den Großspendern nicht viel geben kann. Doch was sie geben kann, gibt sie im wahrsten Sinne rückhaltlos. Sie wirft ihre beiden Scherflein ein. Sie hätte ja auch eines für sich zurückbehalten können. Das tut sie aber nicht! Sie gibt alles, was sie hat.

Genau damit weckt sie Jesu Aufmerksamkeit. Nicht auf die Höhe des Betrags kommt es an, sondern auf die Haltung, die dahintersteckt, das vorbehaltlose Vertrauen auf Gott, aus dessen Hand sie ihr Leben erhält, und das Vertrauen, dass auch eine kleine Gabe Wirkung zeigt. Dadurch wird sie zum Vorbild für die Jünger, die Jesus herbeiruft, um sie auf die Spenderin aufmerksam zu machen. In der umtriebigen Geschäftigkeit des Tempels wird sie nicht wahrgenommen. Es braucht schon den Blick und die Achtsamkeit Jesu, sie zu sehen und ihr Verhalten zu würdigen.

Auch uns und unseren Gemeinden tut es gut, uns Jesu Blick und Achtsamkeit anzueignen. Die Armen geraten auch in unseren Gemeinden leicht aus dem Blick. Sie tauchen in unseren Gottesdiensten selten auf.

Jesus weiß die Gaben der armen Witwe zu schätzen. Es ist die Wertschätzung, die sie braucht. Niemand hat von ihr erwartet, dass sie etwas in den Gotteskasten einlegt. Dennoch hat sie es getan. Es gibt ihr ein Stück Würde, befreit sie von dem Makel, der der Armut immer anhaftet, auch wenn sie unverschuldet ist. Auch sie hat etwas zu geben. Sie gehört dazu und kann sich beteiligen am Leben der Gemeinschaft.

Genau dieses wünschen sich viele, die wir heute arm nennen, nämlich dass sie dazugehören. Armut bedeutet nicht nur Mangel an Geld, sondern vielfache Ausgrenzung, weil man den Vereinsbeitrag oder die Sportausrüstung nicht bezahlen kann, weil man sich den Eintritt für ein Konzert oder fürs Kino nicht leisten kann, ja selbst ein Schälchen Himbeeren wird unerschwinglich. Vorbeigehen und verzichten müssen nagen am Selbstbewusstsein. Dadurch geraten auch die Begabungen aus dem Blick bei den von Armut Betroffenen.

Wie gut, wenn sie jemand entdeckt! Wenn sie gewürdigt werden! Ich hoffe, dass wir in unseren Gemeinden genau diesen aufmerksamen Blick entwickeln.

Waltraud Zimmermann-Geisert war bis 2019 Dekanin in Pirmasens.

Gebet

Aus dir leben wir, du Quelle des Lebens. Lass uns einander neu entdecken! Befreit hast du uns, lass uns diesen Freiraum nutzen; geliebt hast du uns, lass uns diese Liebe weitergeben; vertraut hast du uns, lass uns diesem Vertrauen gerecht werden in unserem Wirken in dieser Welt. Das bitten wir im Namen deines Sohnes Jesus Christus. Amen

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Von der Armut geben: Wer wenig hat, ist dennoch oft großzügiger. Foto: FUNDUS media
Von der Armut geben: Wer wenig hat, ist dennoch oft großzügiger. Foto: FUNDUS media

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