Die Dimensionen sind gewaltig. Die Razzia war eine der größten ihrer Art in Deutschland bisher. 137 Häuser wurden durchsucht, 23 Menschen sitzen in Haft wegen dringendem Tatverdacht, gegen mehr als 25 weitere wird ermittelt. Den sogenannten „Reichsbürgern“ wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, die im gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung gipfeln sollte.
Im Zentrum der Ermittlungen steht Heinrich XIII. Prinz Reuß, Nachkomme eines ostthüringischen Adelsgeschlechts. Er vertritt offensiv Verschwörungstheorien, in deren Zentrum Deutschland die Souveränität abgesprochen wird. Eine Theorie, die einen neuen Staat herbeisehnt und bei den „Reichsbürgern“ schon lange verbreitet ist. Wer das Buch „Die Reise ins Reich“ von Tobias Ginsburg aus dem Jahr 2018 gelesen hat, wundert sich nicht über die kruden Ideen. Der jüdische Journalist hatte sich in das Milieu eingeschleust und eine durchaus heterogene Szene skizziert, die eine gemeinsame Idee zusammenhält. Sorgen machen sollte aber die Gewalttätigkeit, die von der Gruppe ausgeht.
Mögen die Ideen als Spinnereien abgetan werden: Waffenfunde an mehr als 50 Objekten sind es nicht. Dazu kommt, dass Reichsbürger immer wieder von Schusswaffen Gebrauch machen. 2016 starb bei einer Festnahme ein Polizist in Bayern. Vor allem aber, dass offenbar ehemalige Elitesoldaten, die über militärisches Spezialwissen verfügen, mitmischen, lässt aufhorchen. Dazu kommen Kontakte zu Politikern wie der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. Etliche Beschuldigte, darunter der Ex-KSK-Oberst Maximilian E., traten regelmäßig bei Querdenker-Demonstrationen auf. Die Basis ist während der Corona-Pandemie breiter geworden. „Da ist eine unglaubliche Stimmung hochgekocht“, sagt Georg Wenz, Weltanschauungsbeauftragter der pfälzischen Landeskirche.
Schärfere Waffengesetze oder zügige Disziplinarverfahren gegen Beamte sind deshalb Bausteine, nehmen aber nicht den Druck aus dem Kessel. Schließlich sind Verschwörungstheorien in der Regel Ventile, die sich Anhänger bewusst oder unbewusst suchen – zum Beispiel weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, erklären Sozialpsychologen. Echokammern im Internet, die die Anhänger 1000-fach bestätigen, sind ein weiterer Faktor. „Man darf das nicht unterschätzen“, sagt Wenz, der in der Pandemie deshalb schon Seelsorgegespräche geführt hat mit Angehörigen.
Medienbildung ist wichtig. Notwendig aber ist – und hier kommt die Kirche ins Spiel – genauso Zuwendung, Nähe, Zeit für Gespräche, das Schaffen von Gemeinschaft, Seelsorge. Denn wo Menschen einsam sind oder sich fühlen, ihnen aber niemand mehr wirklich zuhört, ist der erste Schritt hin zu einer Gruppe, die neues Selbstbewusstsein geriert, deutlich schneller getan. Es wird Zeit, dem „Reich“ die „Bürger“ zu entziehen.